Zwillingstransfusionssyndrom

Dem Wunder
nachgeholfen

Patientengeschichten

Operation im Mutterleib

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´Man muss das jetzt mal rational sehen, Sie sind ja eine Kollegin und kennen sich aus`, sagten die Ärzte zu ihr. Aber sie wollte und sie konnte es nicht rational sehen. „Nein. Ich war schwanger, eine werdende Mutter und wusste, dass das Leben meiner Zwillinge in großer Gefahr war. Ich war einfach nur emotional.“ Frau S., eine bodenständige Onkologin, die in ihrem Beruf schon viel erlebt hat, konnte nicht rational sein. Denn das Unwahrscheinliche war eingetreten – ihre Zwillinge hatten das feto-fetale Transfusionssyndrom, auch Zwillingstransfusionssyndrom entwickelt. „Und ich dachte immer, mich trifft das nicht…“

„Bei eineiigen Zwillingen, die sich eine Plazenta teilen, ist es ganz normal, dass sich einige Blutgefäße im Mutterkuchen verbinden“, erklärt Fetalchirurg Javier Ortiz, Oberarzt in der Frauenklinik des Klinikums rechts der Isar der TU München. „Aber in manchen Fällen, bei zehn bis fünfzehn Prozent dieser Schwangerschaften, entwickelt sich ein gefährliches Ungleichgewicht, das feto-fetale Transfusionssyndrom.“ Wenn sich Arterien mit Venen verbinden, geht der Blutfluss wie bei einer Einbahnstraße nur noch in eine Richtung. Ein Zwilling gibt sein Blut an sein Geschwister ab und wird dadurch extrem mangelversorgt, der andere Fötus bekommt zu viel des Guten. Beide Kinder leiden unter diesem Ungleichgewicht: „Dem Empfängerzwilling geht es meistens schlechter, da das Herz die große Blutmenge nicht mehr pumpen kann“, erläutert Spezialist Ortiz.

Das Herz des Empfängerzwillings vergrößert sich durch das große Blutvolumen, und die Harnblase ist übervoll. Durch die verstärkte Ausscheidung von Urin erhöht sich die Fruchtwassermenge immer weiter und es besteht die Gefahr, dass die Fruchtblase platzt. Der Spenderzwilling, der unter Blutarmut und daraus resultierender Mangelversorgung leidet, wächst viel langsamer. Er produziert weniger Urin und scheidet auch viel weniger aus, die Fruchtwassermenge nimmt ab. Irgendwann liegt das Kind im Trockenen. So auch bei Frau S., bei der ein Ultraschall in der 24. Schwangerschaftswoche die Gefahr offenbarte: „Einer hing schon tief unten im Becken, ohne Fruchtwasser, der andere hatte viel zu viel“, erinnert sie sich an die schlimme Zeit. In den Tagen zuvor hatte sie bereits bemerkt, dass ihr Bauch sehr prall wurde, jetzt wusste sie weshalb. Und dann ging alles sehr schnell. „Mein Gynäkologe hat Dr. Ortiz vom Klinikum rechts der Isar in München angerufen und einen Termin für den nächsten Morgen vereinbart.“ Früh morgens setzte sich Familie S. ins Auto und fuhr aus dem Allgäu nach München.

Das Perinatalzentrum des Klinikums rechts der isar ist für ganz Süddeutschland die Anlaufstelle für Fetalchirurgie. Das Team um Oberarzt Javier Ortiz hat sich auf Operationen von Föten im Mutterleib spezialisiert – eine Kunst, die weltweit nicht viele Ärzte beherrschen: Im Falle eines Zwillingstransfusionssyndroms wird minimalinvasiv, über eine nur wenige Millimeter große Öffnung in der Bauchdecke der Mutter, eine kleine Kamera und eine Laserfaser durch eine Hohlnadel in die Fruchtblase eingeführt. Dort werden die verbundenen Blutgefäße mit dem Laser getrennt, damit jeder Zwilling einen eigenen, geschlossenen Blutkreislauf erhält.

Die Expertise für diesen Eingriff erwarb sich Doktor Javier Ortiz während einer einjährigen Weiterbildung in Barcelona. „Dort sitzt das Ausbildungszentrum für Fetalchirurgie schlechthin und ich habe gemeinsam mit Ärzten aus der ganzen Welt ein Jahr lang gelernt und gearbeitet. 150 Eingriffe konnte ich dort durchführen“, erzählt der gebürtige Kolumbianer. „Dadurch, dass Spanisch meine Muttersprache ist, habe ich wirklich sehr viel gelernt, da die Sprachbarriere wegfiel“, freut sich der 46-Jährige. Mit dieser Erfahrung im Gepäck kehrte Ortiz nach München zurück und baute hier innerhalb eines Jahres die jüngste Abteilung für Fetalchirurgie in Deutschland auf, die einen ausgezeichneten Ruf genießt.

Zumindest blieb der Allgäuer Familie S. eine Reise quer durch die Republik erspart, um das Leben ihrer Zwillinge zu retten. Trotzdem: „Es war der schlimmste Tag in meinem Leben, ich war fertig mit der Welt“ erinnert sich Herr S. an die endlos scheinende Zeit, als er im Flur auf das Ende des riskanten Eingriffs wartete. Denn trotz aller Kenntnisse und Erfahrungen des Operateurs ist das Risiko, dass einer oder auch beide Zwillinge sterben, immer noch gegeben. „Aber wir verbessern die Überlebenschance von einem Kind von unter zehn Prozent auf 85 bis 90 Prozent und von beiden Kindern auf ungefähr 70 Prozent“, so Ortiz.

„Dieses Mal war die Wahrscheinlichkeit auf unserer Seite“, lächelt Frau S. „Es ist alles gut gegangen. Bis zur vollendeten 29. Schwangerschaftswoche musste ich noch etwas ruhiger machen, wegen der Punktion.“ Das Fruchtwasser bildete sich jedoch sehr schnell nach, und die Herzschwäche des einen Zwillings verbesserte sich zusehends. Ein Risiko gab es aber immer noch: „Bei der Punktion wurde auch die Eihaut durchstoßen. Solange jeder noch sein eigenes Reich hatte, bestand keine Gefahr, dass die Nabelschnur des einen den anderen stranguliert“, erklärt Frau S. Nun, da aus einer Zwei-Zimmer-Wohnung ein gemeinsames Appartement geworden war, wuchs die Gefahr natürlich mit den größer werdenden Kindern mit. Deshalb wurden die Zwillinge in der 34. Woche per Kaiserschnitt geholt.

„Bis heute wissen wir nicht, welcher von unseren beiden der Spenderzwilling war und welcher der Empfänger. Aber für uns ist das auch völlig unwichtig.“ David und Lukas sind heute neun Monate alt und entwickeln sich völlig altersgerecht – zwei kleine Wunder.