Anja Lehmann

Ohne großen
Schnitt

Patientengeschichten

Chirurgen behandeln Speiseröhrentumor minimalinvasiv

zurück zu Hinter den Kulissen: Patienten erzählen.

Anja Lehmann hatte 2015 einen Tumor an der Speiseröhre. In der Universitätsmedizin Rostock wurde der 46-jährigen Patientin mit einer Schlüsselloch-Operation die Speiseröhre entfernt und chirurgisch ein Ersatz geformt.

Dass sie Krebs hat, erfuhr Anja Lehmann durch Zufall. Sie litt unter Schmerzen in Bauch und Brust. Ihre Hausärztin ordnete eine Magenspiegelung an. „Dabei wurde der Tumor entdeckt“, erinnert sich die 46-Jährige. „Rückwirkend betrachtet war es gut, weil ich direkt in einem Frühstadium des Krebses in die Rostocker Unimedizin überwiesen werden konnte.“

Die Ärzte um Prof. Tung Yu Tsui, Leiter der Sektion Onkologische Chirurgie mit Schwerpunkt Hepatobiliäre und Transplantationschirurgie entschieden sich – gemeinsam mit Anja Lehmann – den Tumor erstmals in Rostock minimalinvasiv zu operieren. In einem sechsstündigen Eingriff entfernte der Chirurg per Endoskop und Videotechnik die gesamte Speiseröhre der Patientin. Nötig waren dafür nur ein paar Einstichpunkte im Bauchraum, wo die Instrumente eingeführt wurden, und ein kleiner Schnitt seitlich am Brustkorb. Eine lokale Abtragung des befallenen Gewebes mit dem Endoskop sei bei Anja Lehmann nicht infrage gekommen, berichtet der Operateur. „Der Tumor lag sehr weit in der Tiefe.“ Damit blieb nur die komplette Entfernung der Speiseröhre und der umgebenden Lymphknoten. „Anschließend haben wir aus dem Gewebe des Magens eine Art Schlauch gebildet“, so Prof. Tung Yu Tsui. „Dieser dient seither als Ersatz für die Speiseröhre.“

Doch das Verfahren ist noch immer vergleichsweise selten: In nur wenigen Kliniken in Deutschland wird die Entfernung einer krebsbefallenen Speiseröhre schon per „Schlüssellochchirurgie“ vorgenommen. Nach wie vor ist dafür die offene Operation Standard. „Dabei wird der Bauch geöffnet und der Brustraum aufgeschnitten, das ist aufwendig und viele Komplikationen drohen“, sagt der Chirurg. Durch die kleineren Schnitte verliert der Patient weniger Blut, es gibt keine großen Narben und weniger Schmerzen. Das Immunsystem wird geschont, dadurch ist eine schnellere Erholung möglich. „Auch bei Frau Lehmann war das operative Trauma insgesamt kleiner, sie musste statt vier Wochen weniger als die Hälfte der Zeit in der Klinik verbringen“, resümiert Tsui.

Viele kleine Mahlzeiten

Da ein großer Teil ihres Magens als umfunktionierte Speiseröhre verloren ging, muss sich die lebenslustige Frau jetzt mit mehreren kleinen Mahlzeiten am Tag anfreunden. Wie nach einer extremen Magenverkleinerung. „Ich bin schnell satt“, erzählt Anja Lehmann. „Dadurch habe ich bereits 35 Kilo abgenommen.“ Am liebsten isst sie Reis, Rührei und Quark. Hochkalorisch darf es ruhig sein. „Ich muss wieder zu Kräften kommen“, sagt sie und lacht.

Die Frage nach dem Ausmaß eines Eingriffes ist nicht nur bei der Entfernung einer Speiseröhre ein entscheidender Aspekt für Prof. Tung Yu Tsui. „Lässt man den Tumor drin, um ihn unter Kontrolle zu haben, oder soll er raus und wir nehmen ein Operations-Trauma für den Patienten in Kauf – vor dieser Frage stehen Mediziner immer wieder.“ Fest stehe, dass auch in Rostock der Trend seit Jahren zu organschonenden Operationen gehe. „Wir wollen mehr Präzision und weniger Trauma“, sagt der Chirurg.

Der Anteil an technischer Unterstützung wachse. So werde die minimalinvasive Entfernung etwa von Speiseröhren teilweise bereits mit Hilfe von Robotern vorgenommen. Besonders in seinem Fach sei der Fortschritt enorm. „Chirurgen müssen immer den Anschluss halten und innovativ bleiben.“

Anja Lehmann ist vom Krebs geheilt. Sie wird allerdings weiterhin in ihrer Ernährung eingeschränkt sein und nicht wieder arbeiten gehen können.