Prof. Dr. Rolf F. Maier, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin Marburg des Universitätsklinikums Gießen und Marburg, mahnt zur Verantwortung: „Sehr unreif frühgeborene Kinder müssen monatelang auf einer Intensivstation behandelt werden. Diese Behandlung ist mit Schmerzen und Leid verbunden.“ Zudem leiden nicht wenige Frühgeborene unter 1.500 Gramm an Spätfolgen. Etwa 25 bis 30 Prozent weisen neurologische Folgeschäden auf. „Die kleinen Patienten haben ihr gesamtes Leben noch vor sich“, sagt Prof. Maier. „Trotz aller Fortschritte in der neonatologischen Intensivmedizin darf nicht übersehen werden, dass bei einem nicht unerheblichen Teil der sehr früh unreif Geborenen lebenslange Probleme in Form von Entwicklungsstörungen, von körperlichen oder geistigen Behinderungen oder Verhaltensstörungen auftreten können.“ Ziel der neonatologischen Behandlung ist daher, dass Frühchen nicht nur überleben, sondern sich optimal entwickeln und ohne Einschränkungen leben können.
Um Spätfolgen festzustellen und zu behandeln, ist jede Klinik, die Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht von unter 1.500 Gramm behandelt, verpflichtet, die Kinder im Alter von zwei Jahren nachzuuntersuchen. Einige Folgeschäden zeigen sich jedoch erst beim Schuleintritt oder beim Erreichen des Jugend- und Erwachsenenalters. Nicht selten brachten neue Behandlungsmöglichkeiten kurzfristige Erfolge, die sich langfristig aber ins Gegenteil verkehrten: „Ein Beispiel ist die Retinopathie, eine speziell bei Frühgeborenen auftretende Augenerkrankung, die durch Sauerstoff ausgelöst wird. In den 1950er-Jahren sind aufgrund der unkontrollierten Sauerstoffeinführung tausende Kinder erblindet“, berichtet Prof. Maier. In den 1980er-Jahren stand die körperliche Unreife der Frühgeborenen im Zentrum der Behandlung. Damals begann man Surfactant einzusetzen, eine Substanz, die für die Lungenfunktion entscheidend ist. Plötzlich war es möglich, Kindern das Leben zu retten, die vor der 32. Schwangerschaftswoche zur Welt kamen.
Mittlerweile setzt man zusätzlich auf fächerübergreifenden Austausch. In den Perinatalzentren arbeiten Neonatologen und Geburtsmediziner eng zusammen. „Entscheidend für ein Perinatalzentrum der Maximalversorgung ist die sogenannte Wand-an-Wand-Konstellation“, erklärt Prof. Maier. „Das heißt, Kreißsaal bzw. Operationssaal für Kaiserschnitte und die neonatologische Intensivstation müssen in unmittelbarer Nähe zueinander angeordnet sein.“ So werden Transportwege vermieden. Zudem ist ein Neonatologe vor Ort, wenn es zum Notfall kommt. Ein räumlich nahes Arbeiten fördert auch den fachlichen Dialog. Dennoch sind Qualität und Möglichkeiten der medizinischen Versorgung nicht in allen Krankenhäusern, die Frühgeborene betreuen dürfen, gleich. Eine mögliche Erklärung ist die Dezentralisierung. Während bspw. in Skandinavien wenige große Zentren zur Verfügung stehen, ist das Angebot in Deutschland kleinteilig. Die Betreuung von nur 14 Frühgeborenen unter 1.250 Gramm pro Jahr genügt, um als Perinatalzentrum Level 1 anerkannt zu werden. Der Vorteil großer Zentren liegt gerade in höheren Patientenzahlen, die zu mehr Behandlungsroutine und Erfahrung führen: „Es gibt nationale und internationale Studien, die gezeigt haben, dass mit höheren Patientenzahlen bessere Ergebnisse erzielt werden“, erklärt Prof. Maier. In den vergangenen Jahren gab es heftige Diskussionen bis hin zu gerichtlichen Auseinandersetzungen, die sich mit einer Erhöhung der Mindestmenge auf 30 Frühgeburten pro Jahr befasst haben. Das Bundessozialgericht (BSG) bestätigte einen Zusammenhang zwischen Menge und Qualität, doch sei eine willkürliche Größe nicht bestimmbar: „Die Zahl allein macht nicht das Ergebnis, aber sie trägt zu den Behandlungsergebnissen bei“, so Prof. Maier.